Taube1 (3)

Küssen als Bezahl-Währung und Tauben auf einem Zweig

Küssen als Bezahl-Währung. Wenn keiner mehr Geld hat, dann dürfen Naturalien herhalten.
Es ist einer der skurrilsten Filme, den ich jeh gesehen hab´. Denn diese Tragik erinnert mich an die früheren s/w Filme von Charlie Chaplin. Nur, alles in Zeitlupe, ohne Comic und ohne Lacher. Bei den Briten hätte man bestimmt gesagt, das ist schwarzer Humor. Bei den Schweden sagt man, ´das ist eine Komödie´.

Langsame Bewegungen, keine Anzeichen von Fröhlichkeit. Die Mundwinkel der Schauspieler versuchen nicht einmal, sich nach oben zu bewegen. Nein, sie bleiben starr. Jeder zweifelt irgendwie an sich selbst.

Autobiografische Züge und die Brücke zu den Ähnlichkeiten der Figuren im wahren Leben sind denkbar. Wenn es eine Verbindung zwischen den Portraitierten gibt, dann ist es ihre Verletzlichkeit. Sie fühlen sich ihrem alltäglichen Leben sehr ausgesetzt.

Ganz tief drinnen sind die Menschen sensibel und verletzlich, egal, welche Position sie in der Gesellschaft haben. Das zu zeigen, ist im Grunde genommen, was ich mit meiner Arbeit erreichen will.

Roy Andersson

Sam und Jonathan sind zwei Handlungsreisende für Scherzartikel. Sie denken, dass sie mit Vampierzähnen und Gummimaske das große Geschäft machen und „den Menschen dabei helfen, Spaß haben zu können“. Ihre Absteige erinnert an eine Anstalt. Beide sind das Zentrum der Erzählung und treffen auf die anderen Figuren:

Eine Flamencotänzerin, die ihren jungen und durchtrainierten Schüler ständig angrabbelt und König Karl der XII, der in eine Kneipe hereingeritten kommt und ein Wasser am Tresen bestellt, oder besser, durch sein Gefolge bestellen lässt.

 

Sexuelle Belästigung: Flamencolehrerin betatscht Schüler immer wieder.

Sexuelle Belästigung: Flamencolehrerin betatscht Schüler immer wieder.

 

Sklaven in die Trommel rein und Feuer gemacht.

Sklaven in die Trommel rein und Feuer gemacht.

 

Die Währung Küssen wird in dieser Kneipe eingeführt.

Die Währung Küssen wird in dieser Kneipe eingeführt.

 

Sam und Jonathan sind zwei erfolglose Handlungsreisende für Scherzartikel.

Sam und Jonathan sind zwei erfolglose Handlungsreisende für Scherzartikel.

Roy Andersson schickt uns auf eine märchenhafte Irrfahrt und Reise durch Menschliches und Kurioses. Der Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig kennt einige der Spielorte persönlich, weil er selber dort aufwuchs oder sein Bruder mit seinem Umfeld für räumliche Begegnungen untereinander sorgte. Sicherlich meint er damit auch die einsame Film-Szene in einer Gaststätte, in der die Wirtin ihren Schnaps loswerden will, jedoch die Hälfte der Anwesenden nicht zahlen kann. Schnell und einfach führt sie Küssen als Währung ein und ist so, was Umarmungen und Körperkontakt betrifft, bestens versorgt. „Ganz tief drinnen sind die Menschen sensibel und verletzlich, egal, welche Position sie in der Gesellschaft haben. Das zu zeigen, ist im Grunde genommen, was ich mit meiner Arbeit erreichen will.“

Zum Ende meiner Kritik noch dies: Der längste ins Deutsche übersetzte Filmtitel, den ich jeh gelesen habe, lautet:
EINE TAUBE SITZT AUF EINEM ZWEIG UND DENKT ÜBER DAS LEBEN NACH. Es sieht so aus, als wollte sich hier mal wieder ein ganz kluger Kopf was gaaanz „tolles“ einfallen lassen. Wie komisch. Aber auch im Original oder englischen wird die Headline nicht kürzer:  En duva satt på en gren och funderade på tillvaron / A pigeon sat on a branch reflecting on existence.

Kicostart: 01.01.2015
Neue Visionen