BD-Home-Tipp: VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS
Der Künstler Elia kommt aus Nazareth und muss sich über Land und Leute doch sehr wundern. Schon der eigene Garten und seine Zitronenbäume sind vor den Begehrlichkeiten der Nachbarn nicht sicher.
Bald bricht Elia auf, um anderswo heimisch zu werden und die seltsame Einsamkeit des kopfschüttelnden Beobachters hinter sich zu lassen. Er geht in jene Länder, wo die Frauen frei sind und die Kunst so schön tolerant, wo die Parks öffentlich sind und niemand nachbarliche Zitronen stiehlt. Elia wird zum Kundschafter in den westlichsten Metropolen, Paris und New York.
Auf seinen Streifzügen durch die Räume des Urbanen gerät er zwischen aggressive Parkbesucher, ferngesteuerte Touristen, rollende Polizisten und bis an die Zähne bewaffnete Spaziergänger. Erneut muss sich Elia wundern, doch aus dem Wundern wird bald ein nur zu bekanntes Befremden. Auch hier ist die Welt aus den Fugen geraten, haust ein Schrecken in den Begegnungen. Immer kleiner wird die Mimik dessen, der als Heimatsuchender ankam und zur Teilnahmslosigkeit verurteilt ist. Und immer größer wird das Ausmaß des Absurden, das zu unserer Normalität geworden ist.
Bleibt am Ende nur die Freundschaft mit einem kleinen, frechen Vogel? Elia kehrt zu seinem Garten in Nazareth zurück und muss sich abermals wundern: über einen liebevoll gepfl egten und gedeihenden Zitronenbaum. Als unbeschwerter Flaneur läuft Regisseur Elia Suleimann los und erlebt eine Irrfahrt in die absurden Abgründe unserer Zeit. Kaum jemals hat sich die Erschütterung eines Beobachters so leichtfüßig in einer Komödie der Irrungen Ausdruck verschafft. Mit viel Lust an der Komik, die im Widerspruch liegt, gelingen in VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS grandiose Sketche, die sich zum schrecklich schönen Panorama einer nahenden Apokalypse zusammenfügen.
Während ich in meinen früheren Filmen Palästina als einen Mikrokosmos der Welt zeigen wollte, versuche ich
in meinem neuen Film, VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS, die Welt zu zeigen als sei sie ein Mikrokosmos von Palästina. VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS zeigt alltägliche Situationen von Menschen überall auf der Welt, die in einem Klima von globaler geopolitischer Spannung leben.
Die Gewalt, die an einem Ort ausbricht,
…ist der ähnlich, die an einem anderen Ort ausbricht. Bilder und Geräusche, die diese Gewalt oder Spannung transportieren, werden überall auf der Welt verstanden und nicht, wie in der Vergangenheit, nur in den entferntesten Ecken der Welt. Heute gibt es in allen Ländern Sicherheitskontrollen auf Flughäfen und in Shoppingmalls. Polizeisirenen und Alarmanlagen sind nicht nur vereinzelt zu hören, sondern bilden eine permanente Klangkulisse des Alltags.
Durch die Massenmedien werden wir tagtäglich mit überlebensgroßen Bildern konfrontiert, die immer auch
maskiert und verfälscht sind. VOM GIESSEN DES ZITRONENBAUMS dagegen sucht den Moment im Marginalen, im Trivialen oder in dem, was normalerweise nicht in unserem Fokus liegt. Damit nähert sich der Film dem, was intim, zärtlich und berührend ist. Es sind die persönlichen und menschlichen Geschichten von der Suche nach Identität, die Fragen aufwerfen und Hoffnung geben.
Wie in meinen früheren Filmen gibt es wenig Dialog; was gesprochen wird, funktioniert eher wie ein Monolog, um Rhythmus und Musikalität in den Film zu bringen. Andererseits entsteht das Narrativ des Films durch die unterschwellige Montage; durch Szenen, die sich in der Choreographie der Bewegungen erzählen; durch die
Burleske, die in der Welt des Absurden entsteht; durch Bilder, die sich der Poesie der Stille öffnen, die wiederum das Herzstück der cineastischen Sprache ist.
Elia Suleiman