the old money-style meets the new generation Y of budapest
…oder warum die Ungarn lieber unter sich bleiben wollen und weshalb die Frage nach dem „Warum“ dazu kaum einer beantworten mag!
Mittlerweile spricht jede/r Budapester/in englisch, hat die neue Generation Y den alten und starren Kommunismus hinter sich gelassen, kennt ihn nur noch aus Geschichten. Verbote adé, das Leben ist endlich da. Ich treffe einen 85-jährigen Ingenieur, mit dem ich in einem Pflegeheim ins Gespräch komme und der sich über die niedrige Rente beklagt, eine Sozialarbeiterin, die in Buda lebt, ein gutes Einkommen hat und damit trotzdem nicht klar kommt und eine Tresenkraft, die mir endlich Zahlen nennt.
Letztere spreche ich an den TELEP TERASZ an und komme bei der Bestellung eines Café Americano´s, in der Telep-Art Galéria (Madách Imre út.), eine der trendigen Old-Style-Bars am Platz, an erste Antworten. Hier trifft sich überwiegend die Generation Y, also junge Einheimische, weil sich dorthin selten grölende Engländer auf ein Bier (gibt´s schon für unter einem €), einen Cocktail oder einen Havana Rum verlaufen. Die Stimmung ist erstaunlich locker und die Mode weit ab von irgendwelchem Fashion-Diktat entfernt. Mit einer Ausnahme. Man(n) darf hier bloß nicht die Farben pink, lila und/oder rot tragen, das soll ein fatales No-Go sein! Aber sonst – ein echt geiles Feeling, hier bin ich wie Zuhause. Je später, desto voller wird es und die Tresen-Crew schenkt ein Bier nach dem anderen aus, mixt Long-Drinks und shaket Cocktails. Es ist Anfang September und alle machen es sich vor dem Laden auf den Bänken und Sitzgelegenheiten gemütlich, weil sogar nach 21 Uhr die Temperaturen immer noch sehr mild sind. Genau ne halbe Stunde später ist die PrimeTime erreicht und die Boxen werfen lauten Elektro-Goa aus. Das Gedrängel wird draußen mehr, es wird verdammt eng, deshalb kommen die Tische und Stühle jetzt weg, werden die Fenster wieder runtergeklappt, die nun In- und Outdoor trennen…
Warum die Ungarn gegenüber den „Ausländern“ so verhalten sind und eigentlich keinen Kontakt möchten, was ich übrigens Tag für Tag hart zu spüren bekomme, erklärt die „Shakerin“ mit einer logischen Schlussfolgerung, die da lautet, dass der Durchschnittsverdienst der Budapester um die 120 000 ungar. Forint monatlich liege (das sind bei einem Umrechnungskurs von 1:305 (Stand: 06.09.2017) ca. 391,-€), jedoch die Miete eines Zimmers oder einer Wohnung schon das meiste auffressen, nämlich um die 80 000 ungar. Forint und damit ein großes Loch in die Geldbörse reißen würde. „Das ist einfach nicht genug zum Leben, auch wenn der Platz hier toll ist! Aber die Jobs sind rar und werden teilweise untereinander aufgeteilt, damit mehrere was davon haben.“ Weiter sagt sie noch, dass dadurch Minderwertigkeitskomplexe entstünden und darum bliebe man lieber unter sich.
Und als wir so plaudern, da kommt ein wenig vermummt ein sogenanntes „freaky girl“ hinein und will geklaute Ware, wie Parfum, Shirts und andere Sachen für einen Bruchteil des Ladenverkaufspreises an die Frau bringen. Der Deal geht schnell über die Bühne und keiner hat´s gemerkt. Das ist ja hier so, wie auf der Reeperbahn, denk´ ich so bei mir. „Die kommt hier regelmäßig und hat ab und an sogar gute Sachen dabei….“, meint Biggi zu mir.
Über das Netz bekomme ich Kontakt zu einer Sozialarbeiterin, die sich Zsuzsa nennt. Sie klärt mich ebenso ganz offen auf, warum die Einheimischen unfreundlich und teilweise pampig sind, als wenn sie keinerlei Höflichkeit gelernt hätten. Nur die allerwenigsten sind natürlich-nett und lassen sich auf ein Gespräch ein. Das liege unter anderem an der Politikverdrossenheit, die nach der ersten Aufbruchstimmung eingetreten sei. „Erst ließ man die Investoren rein, um davon zu profitieren, jetzt möchte man sie am liebsten wieder rausschmeißen, so, wie man es vor dem Kommunismus getan hat, weil dort alles besser geregelt war.“, teilt sie etwas verbittert mit. Außerdem sei ab dem Budapester Speckgürtel die Armut wesentlich spürbarer, als man es erwarte. Ca. 27 Hilfsstationen gebe es alleine in Budapest und zig-tausende Bedürftige, meint sie noch.
Sie verdient ca. 200 000 UF (ca. 650,-€, Stand 08.09. 2017) und findet das echt zu wenig: „Für mich reicht das nicht, wenn ich mir außerhalb meiner laufenden Kosten etwas leisten möchte…“
In einem Pflegeheim, in das ich durch puren Zufall hineingerate, weil ich in einem Abriss-Hinterhof einen In-Treff vermutete, trifft mich fast der Schlag, als ich völlig unerwartet das Gegenteil erfahre. Ein auf einer Bank sitzende Rentner spricht mich sofort an, als er meine Unorientiertheit erkennt. Er ist sehr interessiert, was der Verdienst und die Miete in Deutschland angehen und erzählt enttäuscht, dass er mit 270,-€ Rente monatlich auskommen muss. Schließlich war er zu DDR-Zeiten, im Sozialismus als Arbeiter dort und im Westen ebenso, nach dem Fall der Mauer, kennt Bonn und Bielefeld. Eine Stunde lang unterhalten wir uns und es ist so, als wenn ich ihn sehr gut verstehen kann…
Hier prallen also alle Welten aufeinander und haben doch nichts miteinander zu tun.