Im Talk mit KitKatClub DJane ANNIE O.: Freisein, harte Tür, Höhepunkte, Glück…

Im Talk mit KitKatClub DJane ANNIE O. über Freisein, harte Tür, Höhepunkte, Glück…
Elf Interview-Fragen an DJane Annie O., die zur Aufklärung von Vorurteilen des KitKat-Clubs beitragen. Eine, die auch Helene Fischer auflegt, wenn ein Veranstalter es wünscht.

Sie pflegt eine eigene Partyreihe in einem der bekanntesten Clubs und lebte acht Jahre in London, wo ihre DJ-Karriere begann. Online-Redakteur Jörn Ehrenheim traf sie und talkte über:
„Swinger“-Club, Geld, Freisein, Fotoverbote, Höhepunkte, Dr. Mottes „Rave the Planet“ (Love-Parade)-Comeback, harte Tür(en), das Glück, Micaela Schäfer, übers Nüchtern sein beim Arbeiten und mehr…

Annie O.: DJane im KitKatClub…

DJane Annie O.: Im Talk mit TouchYou.de über den KitKatClub, musikalische Höhepunkte…

1. Die halbe Welt redet seit Jahren vom KitKat-Club. Was macht diese Location denn aus, warum alle dahin wollen?
DJane Annie O.: „Tja, tatsächlich scheint eine Art ehrfürchtiger Mythos vom KitKat auszugehen, der allerdings oft in der Fantasie der Leute verzerrt wird. Wenn mich jemand aufs KitKat anspricht, mischt sich oft eine mal verschämte, mal gierige Neugierde in den Blick, die mir signalisiert, dass der- oder diejenige noch nicht dagewesen ist. Die Mischung aus der, wie ich finde, eigentlich unzutreffenden Beschreibung „Fetischclub“ und der wohl weithin unterstellten Schwierigkeit reinzukommen, scheint die Fantasie zu beflügeln und in manchmal etwas zu simple und oberflächliche Bahnen zu lenken, was sich dann in den üblichen Fragen äußert: „Sind da alle nackt?“ und „Vögeln sie da alle?“

Daher versuche ich es mal verständlicher zu machen: Sexualität ist Teil des Ganzen, ja, sozusagen der Grundton, aber es geht nicht primär darum, denn sonst wäre es ja ein Swingerclub, was es nicht ist, da das Tanzen und Feiern im Vordergrund steht. Es geht generell darum, sich frei ausdrücken und ausleben zu können, und zwar über die Grenzen des Alltags und der Normen hinaus. Das fängt mit der Kleidung an, geht über das Sich-Verhalten und das Tanzen hinaus und hört irgendwo beim Sexuellen auf.

Aber das wirklich besondere am KitKat ist die unglaubliche Diversität, die ich so in noch keinem anderen Club erlebt habe. Dort feiern Heteros, schwule, queere und non-binäre Menschen, Ältere und Jüngere, Menschen aller Körperformen und Menschen mit Behinderungen einfach friedlich und respektvoll mit- und nebeneinander und jeder lässt dem anderen sein So-Sein. Das ist das wirklich Eindrucksvolle. Es geht also um den freien Ausdruck der eigenen Identität, mit allem was dazugehört, was eine besondere Atmosphäre der Offenheit schafft.“

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Annie O.: DJane im KitKatClub…

2. Muss sich im KitKatClub die DJane topless kleiden (Oben ohne)? Was macht den Dresscode aus?
DJane ANNIE O.: „Nein. (Übrigens ein schönes Beispiel für die gerade erwähnten typisch reduktionistischen Fragen.) Keiner „muss“ sich irgendwie kleiden, noch „muss“ man nackt sein oder noch nicht mal besonders viel Haut zeigen, wenn man nicht will. Es gibt zwar einen Dresscode, aber der Sinn und Zweck dessen wird oft falsch verstanden.

Es geht nicht primär darum, dass man einen Kleidungsmaßstab an Kink oder Fetisch erfüllen muss, sondern darum, dass man in eine Parallelwelt eintaucht und sein Alltagsselbst mit seiner Alltagskleidung an der Garderobe abgibt. Dein Cluboutfit soll eine gewisse Verwandlung, einen Übergang in eine andere Welt signalisieren und zeigen, dass du dir darüber Gedanken gemacht hast und bereit bist, dein normales Denken und Urteilen abzulegen und aktiv etwas zu dieser Parallelwert beizutragen, statt nur passiv zu konsumieren und mitzuschwimmen. Das kann, muss sich aber nicht in freizügiger Kleidung ausdrücken – jeder, der seinen authentischen, individuell-extravaganten Stil zeigt, wird mit Sicherheit in den Club gelassen.

Kurzum: Der Dresscode ist sozusagen eine gemeinsame Sprache, über die man sich verständigt, dass man eine bestimmte innere Haltung teilt. Aber beides muss zusammengehen – es reicht nicht, sich mit sexy Klamotten „zu verkleiden“, nur um reinzupassen. Die Türsteher und Selekteure spüren den Unterschied.“

Annie O.: DJane im KitKatClub Berlin…

3. War Micaela Schäfer schonmal da? Die ist ja nicht nur für´s Ausziehen bekannt, sondern auch des Plattenteller drehens…
DJane Annie O.: „Ich könnte sie jetzt googlen, aber ich muss ehrlich gestehen: Ich weiß wirklich nicht, wer Micaela Schäfer ist.

Davon abgesehen: Das Tolle am KitKat – wie auch an allen anderen „guten“ Berliner Clubs – ist, dass absolutes Foto- und Filmverbot herrscht. Dieser geht sogar einen Schritt weiter, indem das Handy ohne Ausnahme an der Garderobe abgegeben werden muss. Man darf gar nicht unterschätzen, welche grundlegende Auswirkungen dies auf die Stimmung und die Dynamik des Feierns hat. Man kann sich wieder wie früher gehen lassen, in dem Wissen: Was hier passiert, bleibt auch hier. Und das führt eben auch dazu, dass sich Celebrities sicher fühlen können in diese Welt einzutauchen, ohne zu fürchten, dass es morgen in der Bild-Zeitung steht.“

Annie O.: DJane im KitKat Club Berlin…

4. Du produzierst nicht selbst, sondern legst „nur“ auf. Worin liegt der emotionale Unterschied darin?
DJane Annie O.: „Ja, interessanterweise wird oft automatisch angenommen, dass es doch Hand in Hand gehen würde, als DJ auch Musik zu produzieren, dass dies also eigentlich parallele Fähigkeiten sein sollten. Das empfinde ich in meinem Fall überhaupt nicht so – ich habe zwar letztes Jahr eine EP herausgegeben, aber dabei hatte ich Hilfe von zwei befreundeten Produzenten. Ich selbst habe es mit dem Produzieren immer mal wieder probiert, aber schnell gemerkt, dass es mich einfach nur frustriert und ich anscheinend nicht genug intrinsische Motivation dazu habe. Denn ich bin DJ, weil ich eine Stimmung kreieren möchte, weil ich mich spontan auf eine Situation einlasse, die Leute abholen und auf eine euphorische Reise führen möchte.

Meine Stärke liegt also in meiner Anpassungsfähigkeit und dem großen und variablen Musikrepertoire, und meine „Kunst“ liegt darin, diese Werkzeuge so anzuwenden, dass sie in genau der Situation genau die richtige symbiotische und ekstatische Stimmung erzeugen. Ich brauche also die Resonanz der Live-Situation – und das ist was völlig anderes, als alleine im Studio zu sitzen und Musik zu erschaffen. Und überhaupt: Ich könnte mich gar nicht entscheiden, welches Genre ich produzieren sollte, da ich so vieles mag – von Disco über Electro Swing bis Tech House und Techno. Es würde mir schwer fallen mich auf ein Genre zu reduzieren.“

5. Habe ich also richtig verstanden, dass persönliche Präsenz und Abwechslung genau DEIN Ding sind?
DJane Annie O.: „Ja, absolut. Ich kann mich als eine Art Chamäleon sowohl musikalisch als auch stilmäßig auf alle möglichen Kontexte einlassen. So kann ein Wochenende zum Beispiel so aussehen, dass ich donnerstags auf einer formellen Firmenveranstaltung in einem edlen Hotel auflege und das „klassische Partyprogramm“ biete, freitags dann Techno auf einer schwulen Fetischparty spiele, und samstags dann mit Electro Swing auf einer riesigen 20er-Jahre Gatsby-Party in Reykjavik auftrete. Diese Wandlungsfähigkeit ist meine Stärke und über die Zeit auch zu meinem Aushängeschild geworden.“

6. Wenn wir mal von nicht nur musikalischen Höhepunkten sprechen – Bist Du beim „Arbeiten“ immer nüchtern?
DJane Annie O. „Nein. Wobei es vor Corona auch lange Zeiten der Nüchternheit gab, als ich mir beweisen wollte, dass es nicht zwingend dazugehören muss. Seitdem ist es variabel – mal bleibe ich es, mal nicht. Je enger die Termine liegen und je weniger Schlaf sowieso schon droht, desto eher bleibe ich nüchtern um so fit wie möglich zu bleiben…“

7. Dürfen bei Dir deine „Freunde“ auf die Gästeliste, wenn du im KitKat auflegst? Und wenn ja, bleibt trotzdem mal einer vor der „harten“ Tür stehen?
DJane Annie O.: Ja, meine Freunde dürfen auf die Gästeliste und nein, sie kommen immer rein – insbesondere weil sie fast alle sowie Stammgäste im KitKatClub sind.“

Anni O.: DJane im KitKatClub Berlin…

8. Deine „Botschaft an uns alle“, die Du in einem Finanz-Gastbeitrag einer Zeitung erklärst, lebe ich ja auch. Sich von einem Sklavenverhältnis, wie dem eines Arbeitgebers zu lösen und das zu tun, was freier macht, ist ja ein gewagter Schritt. Was ist Glück generell für Dich?
DJane Annie O.: Oh, da möchte ich kurz klarstellen, dass ich nie das Wort „Sklavenverhältnis“ benutzt habe. Ich habe mich nie als Opfer eines Systems gefühlt, sondern wenn dann nur ein Opfer meiner eigenen Ambitionen. Das habe ich in meinen Vorträgen und Beiträgen ja hoffentlich immer betont: Dass ich aus meiner eigenen Illusion aufwachen musste, dass Leistung, Erreichen und Sich-Beweisen zu der gewünschten Erfüllung führt. Aber das war mein eigener innerer Konflikt – damit stelle ich nicht generell Angestelltenverhältnisse infrage. Ich kenne viele Menschen, die die Sicherheit der Festanstellung schätzen und brauchen, um sich dann frei genug zu fühlen sich in anderen Bereichen zu verwirklichen. Es gibt nicht den einen Weg.

Aber zurück zur Frage des Glücks: Für mich persönlich bedeutet Glück, unabhängig und selbstbestimmt zu sein. Das war mir immer wichtiger als Sicherheit. Dazu kommt seit einigen Jahren die große Erfüllung und Bestätigung, mit dem, was ich liebe, auch erfolgreich zu sein – aber natürlich hat es viele Jahre gebraucht um dahinzukommen.“

9. Hamburg hat schon lange den G-Move „verboten“. Was sagst Du zum „Love-Parade“ Comeback, der neuen „Rave the Planet„-Parade von DJ Motte? Hatte diese Zeit nicht längst auch diesen Höhepunkt erreicht, ist also vorbei?
DJane Annie O.: Hm, ich habe da keine gefestigte Meinung zu. Ich selbst war nicht dabei – unter anderem, weil ich die Nacht vorher meine eigene Veranstaltung im KitKat hatte, zwölf Stunden im Club verbracht habe und erst um 10 Uhr morgens Zuhause war – aber ich wäre, glaube ich, auch sonst nicht hingegangen, weil ich keinen besonders persönlichen Bezug zu der Parade habe. Zwei Wochen später ist außerdem die CSD-Parade – da bin ich dann dabei und lege auf einem Truck auf. Aber wenn Leute daran Spaß haben: warum nicht!

10. In welchen Ländern und Clubs hast du schon gastiert und in welchem Laden war was da dein absolutes Highlight?
DJane Annie O.: „Ich war eine Zeit lang mit der „Party Like Gatsby“-Crew unterwegs, die in fast allen großen Städten Europas aufwendige Bühnenshows im 20er-Jahre-Stil produziert haben. Dadurch bin ich viel rumgekommen, besonders in Nord- und Westeuropa.

Bevor ich nach Berlin kam, habe ich acht Jahre in London gelebt, wo auch die Anfänge meines Auflegens liegen – die wahnsinnige Stadt hat mich vom Investmentbanker zum DJ gemacht. Aber bis zu meinem Abschied hatte ich es noch nicht so weit geschafft, um in den dortigen großen Clubs zu spielen.

Ansonsten war ich auch längere Zeit Teil der Burning Man-Szene und habe auf dem großen Burn in Nevada und dem europäischen Ableger in Spanien gespielt. Und damit wären wir wohl auch bei meinem Highlight: In der Wüste von Nevada auf dem Deck eines Buses (einem sogenannten „Art Car“) dem Sonnenaufgang entgegen zu fahren und weiche, melancholische Deep House Tracks zu spielen – das war schon krass ergreifend und überwältigend.“

11. Wenn Corona mehrere Branchen stoppte, hast Du jemals ans Aufhören gedacht?
DJane Annie O.: „Die diversen Lockdown-Pausen tat mir zwar sehr gut, aber nein, ich habe eigentlich nie ans Aufhören gedacht. Ich habe mich als Überbrückung auf andere Sachen konzentriert – ich hatte seit ein paar Jahren eh schon nebenbei Psychologie in Teilzeit studiert und dann in der Coronazeit beschlossen auf Vollzeit umzusteigen. Das hat mich ausgelastet und dazu noch wahnsinnig inspiriert. Nur, ging dann alles so schnell, dass ich mich jetzt mitten im Vollzeitmaster befinde und gleichzeitig wieder das DJ-Leben in voller Auslastung begonnen hat – das ist im Moment ein recht anstrengender Spagat. Aber bald sind Semesterferien, dann kann ich wieder ein wenig durchatmen…