Amazon-Prime: So war Hamburg-Premiere von Der GOLDENE HANDSCHUH
Relativ still und heimlich erschien schon vor einiger Zeit – ungeschnitten, also in der FSK 18-Version – Der Goldene Handschuh auf Blu-ray und DVD. Jetzt holte sich Amazon-Prime den Zuschlag, um diesen Shocker dem Streaming-Publikum zur Verfügung zu stellen.
Zu diesem Anlass widme ich mich noch einmal diesem Fatih Akin-Werk und schreibe ausführlich, wie sehr es mir sogar die Premiere mit allem Drum und Dran angetan hat, die am 20.02. dieses Jahres mit viel PR-Rummel abging:
20.02.2019, Hamburg, Astor-Film Lounge im Hafen: Kino-Premiere von Fatih Akin´s DER GOLDENE HANDSCHUH mit lokalem Red Carpet!
Echt pervers, brutal, schonungslos. Alter, nach diesem besonderen Ekelfaktor-Abend sinnloser Gewaltdarstellung, heißt es einmal tief durchatmen, bei einem Spaziergang nach Hause ordentlich Luft holen. Denn dieser Stoff ist wirklich ab 18 Jahren und nur mit zwei Bieren zu ertragen!
Ein Horror-Streifen ab 18 Jahren
Knollennase, schütteres Haar, schielende Augen – ich fühlte mich alleine durch das entstellte Aussehen Fietes nicht gut, wenn an seinem Wohnzimmertisch der Korn literweise geschluckt, dann die Brutalitäten begangen wurden. Der französische Thriller Irreversible ist echt hart, SPUN, mit Mickey Rourke ist es ebenso und in The Cut schmeckte ich den Wüstenstaub direkt auf der Zunge, wenn die Türken draufhauen. Nun, dass Fatih Akin kommt und mit einer perversen Darstellung des Honka im Glöckner von Notre Dame-Modus noch einen drauf setzt, hat mich echt überrascht. „Spätestens dann, wenn ich die Kontaktlinsen drin hatte, lebte ich ein anderes Leben…“, Jonas Dassler über seine Hauptrolle. Auf dem Red Carpet war der 23-jährige gar nicht wiederzuerkennen: Anzug, Lackschuhe, ein richtiger Sunnyboy: „Zu so einem Anlass mache ich mich schick!“
Hochachtung an den Regisseur, der sich einer Realität in Zusammenhang mit starker Gewalt so schonungslos stellt, dass es weh tut, hinzusehen. Noch einen Tag später kleben die Bilder in meinem Gehirn wie festgetackert. Der Punkt ist, dass die Kamera immer draufhält, wenn was entscheidendes passiert. Im Stil von Victoria wird alles gezeigt, was zum Morden gehört. Im tabulosen und offenen Darlegen von körperlichen aggressiven Tätlichkeiten gegen Schwächere oder dummen Minderheiten, wie ebenso in Detroit, wird nichts weggeblendet oder geschönt. Das schockt mich!
Ja, aber so muss es wirklich gewesen sein, denke ich noch und erinnere mich an meine persönlichen Besuche im Goldenen Handschuh, in denen ich auch heute noch Gestalten herumlaufen sehe, die fragwürdig sind.
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Der Gestank kriecht durch die Leinwand
„Der Titel könnte wie ein Märchen klingen…“, sagte ein Mitschüler in meiner Medienschule, der von diesem gesamtem Thema noch nie zuvor was gehört haben will. Die Wahrheit sieht ja anders aus.
„Was stinkt denn hier sooo…?“, fragen alle Opfer, die in Honkas „Wohnzimmer“ (un)freiwillig kommen. „Das sind die Griechen unter mir, die kochen wieder…!“, schmettert der Verwirrte mit forscher Stimme alle weiteren Bedenken ab.
Diese krasse Darstellung des hemmungslosen Abschlachtens ist so wuchtig, dass der Gammel-Geruch durch die Leinwand kriecht. Der Ekelfaktor ist gleich in den ersten zehn Minuten verdammt hoch, flacht dann wieder etwas ab und verfestigt sich im Verlaufe der Filmlänge erneut. Trotzdem ich eigentlich vorbereitet war, ich wusste, das es schlimm und brutal werden könnte, wurde mir, in der ersten Reihe des Club-Kinos des nagelneuen Astor-Cinema sitzend, zweimal so schlecht, dass ich an die Bar zum Bier holen und Sauerstoff tanken gehen musste. Beides war an diesem Abend gratis…
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Sinnlose Gewalt zeigen macht Sinn…
…denn die Rund-Um-Die-Uhr-Kneipe ist für ein Zuhause von gescheiterten Existenzen bekannt. Und um den Ekel-Faktor einmal zu unterstreichen, oder besser gesagt, deutlicher zu machen, muss man versuchen, den Schlächter zu verstehen. Schon zu Heinz Strunk´s Buch-Lesung im Kiez-Theater, vor mehr als einem Jahr, welches die Vorlage zu diesem Horror-Streifen ist, ging oftmals ein krasses Raunen durch das Publikum, wenn er z. B. schilderte, wie Fiete hinter sein Sofa griff, den völlig versifften und feucht-modernden Lappen hervorholte, um sich damit sein schwitzendes Gesicht abzuwischen. Strunk selbst sitzt in Akin´s Film für zehn Sekunden in der Honka-Stube und sabbelt zwei Sätze dahin, die kaum zu verstehen sind. Er befindet die Verfilmung als „sehr gelungen“!
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Aber es sind nicht nur gelesene Zeilen, sondern es ist, wie mitten drin. Denn wir sitzen direkt in Honkas „Wohnzimmer“, sind dabei, wenn dieser Typ durchdreht.
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Warum die Meinungen wild auseinander gehen
Dieser Film ist keine Doku, sondern ein Zeit-Dokument, in dem, um den Sinn zu erklären, in einem Abschnitt gezeigt wird, wie sich ein Kranker leichte Beute für seine Perversitäten sucht, um sie zu zerlegen. Er sorgt für reichlich Diskussionsstoff:
Der NDR will da viel lieber eine Psycho-Studie vorgesetzt bekommen, als sinnlose Gewalt und versteht die Figur Honka ganz anders. Ein Zuschauer, der sich bei mir meldete, meinte verzweifelt enttäuscht, dass nach dem Kinobesuch einfach nichts bliebe, als verbitterte Leere, weil es keine Botschaft gegeben habe: „Das ist kein Horror, sondern Splatter ohne Splatter. Man geht raus, und es bleibt nichts. Nicht mal ein komisches Gefühl…“ Der Innensenator Hamburgs, Andy Grote, der ebenso auf dem Roten Teppich Interviews vor Filmbeginn gab: „Ich erwarte einen ereignisreichen Abend…“. Ein paar Tage später, noch auf dem Blauen Ball, ergänzte zu mir: „Ich fand den Film gut, außerdem wusste ich, was mich erwartet, daher konnte ich damit umgehen…“
Gerichts-Journalistin Peggy Parnass, die Honka im Saal während einer Verhandlungspause interviewte, hatte zuerst Mitleid. Als er sich während des Prozesses und der Schilderung seiner Taten kaputtlachte, fand sie ihn scheußlich. Sie brachte ihren dicken Wälzer „PROZESSE“ mit, in dem sie diesen Fall portraitierte, das Buch stolz am Roten Teppich vorstellte.
Was sagt Fatih Akin zu seiner Verfilmung?
Der Hamburger Filmemacher nach der Premiere: „Naja, so schlimm war es doch gar nicht. Außerdem – es ist auch ein Heimatfilm, mein letztes und schönstes Baby…“ Beruhigend betont der in Altona lebende: „Die Zusammenarbeit mit diesen tollen Schauspielern hat jetzt erst begonnen…“ Weiter meint er: „Zur Berlinale durften außerdem nur sieben meiner Crew auf die Bühne, weil nicht mehr Blumen da waren. Aber hier bekommt ihr alle welche von mir…“ Dann verneigte er sich tief vor dem Hauptdarsteller, Jonas Dassler.
Das man den Film nun, wie einige Journalisten auf dem Berliner Filmfest es taten, ganz durchfallen lassen muss, finde ich nicht. Im Gegenteil. Vielmehr ist der Mut zu bewundern, wie Fatih Akin sich traut, reales Wissen in reale Bilder umzuwandeln. Wer hat das denn jemals gemacht…?
Meine Nachvisite in der echten „Honka Stube“
Busse standen vor dem Kino, die die Premieren-Gäste ins Mojo zur After-Show brachten. In einer virtuellen Führung durch „Honkas Stube“ durften wir dieses „Abenteuer“ weiter erleben. Ich bog noch eine Straße weiter, in den Goldenen Handschuh ab, auf ein ASTRA. Hier war ich gleich wie Zuhaus´. Wer da noch nie drin war, sollte mal ´n Blick riskieren und ne original Nase echten Mief nehmen.
Fatih Akin
Der GOLDENE HANDSCHUH
Kam am 21.02.2019 im KINO
2020 auf Blu-ray
Ich bewundere Fatih Akin, er ist ein ganz “ Goßer“ er hat es wirklich drauf. Habe heute den Goldenen Handschuh gesehen. Bin begeistert. Danke dafür. Übrigens im Jahr 2019 ist es im Goldenen Handschuh kaum anders.
Ich weiß, das habe ich auch so geschildert. Und ich bin gerne da. Wir sehen uns auf ein Astra dort, ok?
LG
Jörn